Nachttanz

Ich begann: "Schon kurz nach meiner Einlieferung, also vor drei oder vier Tagen, träumte ich merkwürdige Dinge, von denen ich aber nur noch schwache Eindrücke habe. Es ging um fremde und merkwürdige Wesen, kleiner als ich und zarter. Wir tanzten, und ich fühlte mich sehr leicht. Auch am nächsten Morgen war ich beschwingter als gewöhnlich, es war, als ob die Träume in mir nachhallten wie Echos in einer Schlucht. Die Nacht von gestern auf heute war, wie sie sicher wissen, eine Vollmondnacht und wie so oft konnte ich keinen Schlaf finden. Die Frau im Nebenzimmer stöhnte mehrmals laut, ehe sie Ruhe fand. Die Nachtschwester machte alle Stunde ihre Runde, was man trotz der dicken Wände deutlich hören konnte, da sie Holzschuhe anscheinend liebt. Sie wissen, ich habe meine Umwelt ständig ein wenig im Auge:"
   Ich trat an das Fenster des Büros, das auf den Park sah. Das Bürogebäude hatte man so errichtet, dass man von hier aus gleichzeitig auch das alte verwitterte Klinikgebäude sehen konnte. Ich blickte zu meinem Fenster im fünften Stock. Fünfter Stock, das bedeutet bei so einem fast schon antikem Gebäude eine Höhe von ungefähr zwanzig Metern, bedingt durch die altmodisch hohen Räume. Aufgrund dieser Bauweise sah das nicht besonders breite Hauptgebäude der Klinik fast ein wenig turmartig aus. Ich deutete auf mein Fenster und sah dabei Dr. Lauter an. "Von dort oben sah ich gegen elf Uhr in den Park. Die schwere Wolkendecke das Nachmittags hatte sich aufgelöst, und der Vollmond ermöglichte es mir, den gesamten Park zu überblicken. Sechzig Meter rechts von mir stand das alte Gebäude, auf dem sie mich heute morgen fanden. Ich blickte auf sein Flachdach das im Mondlicht Reflexe warf, obwohl es nur von einfacher Teerpappe bedeckt ist. Überhaupt lag eine sehr ruhige Stimmung über der ganzen Szene. Hundert Meter vor mir ruhte der Zierteich, die Ränder verdeckt durch schlafende Trauerweiden."
   Ich stand wieder vor Lauter und starrte ihn an. Lauter kroch ein wenig in sich zusammen, er fühlte sich wohl zu einer Aussage genötigt, denn er sagte, mich unbehaglich anblickend: "Auf Depressionen können Halluzinationen folgen."
   Offensichtlich wollte er den Psychologen herauskehren.
   "Sie meinen natürlich, dass sich mein Geist noch ein wenig mehr verwirrt hatte und wagen dankenswerterweise eine Analyse. Aber ich kann ihnen versichern das keinerlei außergewöhnliche Verwirrung in meinem Hirn bestand. Ich weiß auch warum ich hier bin und ich weiß jetzt auch dass es ein grober Fehler war, hierher zu kommen."
   Meine schweren Depressionen und die immense Schlaflosigkeit, ergänzt durch leichten Verfolgungswahn, würde ich nach der heutigen Nacht überwinden können, doch Lauter wollte mich nicht gehen lassen, bevor ich das für ihn unerklärliche Faktum erklärt hatte. Und er hatte die Macht mich zu hindern, keine Frage. Er wusste das und deswegen entfaltete er sich zu seiner normalen Sitzhaltung und sagte: "Ohne eine zufriedenstellende Erklärung blieben sie hier. Wir dürfen gefährliche Kranke hier behalten, auch gegen ihren willen."
   Nachdem der Gärtner, ein freundlicher Rentner, mich vor einer Dreiviertelstunde gefunden hatte, war es zu einer Verhärtung der Fronten gekommen. Dr. Lauter, ein Unsympath erster Güte, lies mich nun festhalten und wurde immer störrischer, je mehr ich meinem Wunsch Ausdruck gab. Meinem Wunsch nach sofortiger Entlassung aus diesen gastlichen Hallen, die sich Klinik nannten, aber nur den Traum des Dr. Lauter erfüllten. Er hatte sich wohl schon als Kind intelligente Versuchstiere ersehnt, nun hatte er sie. Ich würde ihm also alles erzählen, sollte er es doch mit seinen lappigen Ohren aufsaugen und mit seinen schwammigen Gehirnzellen analysieren. Danach konnte er mich nur noch gehen lassen, oder für immer einsperren.

"Eine halbe Stunde später sah ich wieder in den Park, wo inzwischen ein zauberhafter Sternenhimmel regierte, gekrönt vom Vollmond, dem König der Träume. Dann rollte das Geschehen.
   Aus einer nicht einsehbaren Ruhelage am Rande des Teiches lösten sich viele Lichtpunkte und begannen einen magisch anmutenden Reigen auf der Wasseroberfläche, schwirrten umher wie Wasserkäfer an heißen Sommertagen. Anmutige Kreise wurden beschrieben, aber auch symmetrische Muster wurden gebildet, dazu erklangen atonale Klirrlaute, die in mir eine Saite mitschwingen ließen von deren Existenz ich nichts geahnt hatte. Und nicht nur bei mir."
   Ich machte eine Kunstpause, Lauter starrte wie berühmte hypnotisierte Kaninchen.
   "Der volle Mond reagierte und schickte seine Strahlen massiv herab, gebündelt zu einem hellen Zauberstab. Diese Leuchtspuren formten eine lichte Scheibe, ein Tanzparket aus purer Energie. Die winzigen Partikel, die die Mondkraft beschworen hatten, verschwanden wieder unter den Weiden, um Platz zu machen für die erstaunlichsten Erscheinungen, die ich bis heute gesehen haben. Gestalten, nicht größer als elfjährige Kinder, glitten auf die Seefläche, mühelos gehalten von der lichten Plattform. Sie versammelten sich in der Mitte wo noch immer Mondlicht herab rieselte. Eine von ihnen, hervorgehoben aus der Menge gleichförmiger Gestalten durch einen Stock aus einem dunklen Material, trat in die Mitte. Sie hieb den Stab in den Lichtfall. Ein schriller Schrei stieg empor und eine Lichtflut brach nach rechts aus, um dann auf mich zuzuwirbeln.
   Hastig machte ich einen Schritt rückwärts, wobei mir ein Hocker ein Bein stellte und mich zu Fall brachte. Weil ich nur einen hellen Schimmer am Fenster bemerkte rappelte ich mich auf und wagte mich wieder nach vorn. Vor meinem Fenster hatte sich ein goldene durchscheinende Brücke gebildet, die in kühnem Bogen über das alte Wirtschaftsgebäude und einige niedrige Bäume hinweg führte, bis sie in der Mitte des rundlichen Zierteiches inmitten der Schar der kindhaften Gestalten endete. Auf dieser Brücke aus wirbelndem Licht glitt eine dieser zarten Gestalten heran. Die glitt; Schreiten oder trippeln wären zu schwache Beschreibungen.
   Merkwürdig, ich war mir in diesem Augenblick sicher, der Einzige zu sein, der das Außerordentliche beobachtete, ich war sogar überzeugt, das alle anderen, Pfleger und Patienten, Nachtwächter und Gärtner, schliefen, wobei sich bei mir aber kein Leichenhausgefühl einstellte, sondern stille Freude wie vor einem großen Fest.
   Die kleine Gestalt, ich will sie mal Elfe nennen, also diese Elfe eilte die Lichtbrücke herauf, dabei glänzte ihr helles Haar überirdisch und immer wenn die winzigen Füße den durchscheinenden Boden berührten, erklang ein Ton wie von zwei aneinander geschlagenen Sektgläsern, zerbrechlich aber voller Zuversicht. Als als sie mein Fenster erreichte und zu reden begann, war ich so eingefangen von dieser seltsamen Stimmung des Geschehens, dass mir das ganz natürlich erschien. Sie sagte mit einer Stimme die mich an Disneys Elfen erinnerte: "Folge mir bitte auf die Tanzfläche, meine Königen erwartet dich bereits." Und sie machte einen anmutigen Knicks, wie er vielleicht auf einem elfischem Königshof üblich ist."
   Ich stockte kurz und führte meine Rede dann weiter: " Die Brücke, die lichten Wesen, das alles konnte ich klar sehen, auch fehlte die Verschwommenheit, die ich von meinen Träumen her kenne; ich konnte sogar trotz der Dunkelheit ein paar Farben sehen und wie sie sicher aus meinen Unterlagen wissen träume ich sonst ausschließlich schwarz-weiß, wie fast alle Menschen. Trotzdem.., die Absurdität des Geschehens kuschelte sich eng an einige der hintersten Windungen meines Gehirns, sie störte mich nicht, aber existierte. Ich konnte mich deswegen voll auf die Elfen konzentrieren.
   Das zierliche Wesen, es war weiblich, wie ich sehen konnte, sah mich irgendwie verlegen an, dann machte es einen auffordernden Schritt in Richtung auf den Teich. Ich schob einen Stuhl an das Fenster und schwang mich über die Brüstung. Zwar stockte mein Atem als ich mein Gewicht der hier kaum sichtbaren, filigranen Stütze antraute, aber eine halbe Sekunde später stand ich schon sicher darauf. Zum Glück bin ich schwindelfrei, was mir das Gehen auf der geneigten Fläche zu einem Vergnügen machte. Die Lichtbrücke fühlte sich unter meinen Füßen an wie einer dieser modernen Straßenbeläge. Rutschfest, aber irgendwie auch glatt und weich. So folgte ich also dem sich oftmals umdrehendem Elfenwesen in Höhe des sechsten Stockwerkes über eine Bahn aus reinem Licht, über mir den hellen Vollmondhimmel, unter mir den nichtsdestotrotz dunklem Park, als Ziel den ebenfalls lichtbedeckten Teich, ein Tänzchen zu wagen."
   Ich lächelte Dr. Lauter an und fasste an meinen nicht gerade bescheidenen Bauch, dann, meine etwas unglückliche Figur bedenkend (ein unhöflicher Mensch hätte mich als fett bezeichnet), sagte ich: "Ich wusste nicht warum ich erwählt wurde. Vom körperlichen her hätte es in dieser Anstalt wohl besser Geeignete gegeben."
   "Das glaube ich auch, aber fahren sie fort."
   "Ich zögerte nochmals eine Sekunde vor dem Betreten der Teichoberfläche, doch die Elfe fasste mit ihren feinen Fingern meine Hand und zog mich einfach weiter, hinaus, bis in die Mitte, wo sie mich ein wenig hilflos zurückließ. Die Elfe hatte von Tanzfläche und Elfenkönigen gesprochen, also erwartete ich, dass eine der leichtfüßigen Elfenfrauen sich Königin nennen, meine Hand ergreifen und mich herumwirbeln würde. Aber die Logik, zusammen mit der Ratio, versteckte sich in meinem Zimmer, und so überraschten mich die folgenden Dinge aufs Neue. Als sich alle anwesenden Elfen auf einmal in meine Richtung verneigten, fühlte ich mich geehrt und erwiderte mit aller mir von Gott verliehenen Anmut, was leider nicht so viel ist wie ich es gerne hätte, den Gruß. Hinter mir erklang ein belustigtes Lachen, die Ohren schmeichelnd wie Streicherklänge und ohne schadenfrohen Unterton, ein freundschaftliches Lachen. Ich drehte mich um und sah die wunderbare Feenkönigen."
   Lauter hatte eine betont aufmerksame Mine aufgelegt und spielte dabei nervös mit einem Bleistift. Ich musterte ihn intensiv und sagte, die Stirn in Falten legend: " Auch jetzt bin ich noch beeindruckt und sehe ihr Bild vor mir, trotzdem fällt es mir schwer sie zu beschreiben. Sie nannte mir ja nicht mal ihren Namen und wie kann man etwas beschreiben, dessen Namen man nicht kennt? Ich bin auch fast sicher dass jeder normale Sterbliche sie anders sieht. Aber ich will es versuchen.
   Über einem rundem, feinem Gesicht das sich fast auf der Höhe des meinigen befand, säumten kurze schwarze Haare; die Nase störte den unmöglichen Grad an Entrücktheit der sich gebildet hätte, wenn sie dem restlichen Gesicht in Schönheit und Eleganz gleich gewesen wäre. Sie war kurz und stubsig. Da die Elfenkönigen viel größer war und als einzige schwarze Haare trug, drängte sich mir kurz die Idee auf, dass sie bei ihrem Volke die gleiche Rolle innehaben könnte wie eine Ameisenkönigin bei dem ihrem, und ein Hauch von Fremdheit striff mich. Doch ihre freundliche Präsenz vertrieb jedem bösen Gedanken. Sie lächelte heiter und gleichzeitig ernsthaft, wie die Jungfrau von Orleans bei ihrem ersten Sieg gelächelt haben mag. Sie umfasste mich und dann versank alles in einen leidenschaftlichen Taumel."
   "... in einen leidenschaftlichen Taumel," sagte Lauter gedehnt, er hoffte wohl noch immer einen neuen psychischen Defekt bei mir zu finden, diesmal jagte er wohl einer Erfüllungsphantasie hinterher, die er als Auslöser vermutete. Für ihn würde das alles erklären.
   "Taumel und Leidenschaft, ja," spottete ich, "aber nur beim Tanz. Mein lahmer alter Körper schwang herum und drehte und sprang wie schon seit vielen Jahren nicht mehr, dabei flüsterte mir meine Tanzgefährtin einiges über ihr Volk zu. In dem Moment verstand ich sie genau, ich verstand auch die unbedingte Notwendigkeit dieses Tanzes, sowie die Gefahren die ihre Existenz bedrohten, und ich erschrak tief und gleichzeitig war ich froh, ihr helfen zu dürfen. Ich war ergriffen von den mannigfaltigen Problemen dieses Volkes und begeistert von den geschickten Lösungen die gefunden wurden, und auch dieser Tanz war ein Teil einer dieser Lösungen. ...aber merkwürdig, ich kann mich nicht mehr erinnern, was das konkret war, was sie mir sagte."
   Ich blickte eine Sekunde lang auf ein Stück naiver Bauernmalerei, vielleicht das Werk einer Patientin, oder, wer weiß, möglicherweise das Geschenk einer Verehrerin. Ich versuchte den rapiden Gedächtnisverfall in Bezug auf letzte Nacht zu begreifen, doch es gelang mir nicht.
   "Ich bemerkte nicht das Verstreichen der Zeit, so dass ich erschrocken in den Himmel blickte als wir jäh stoppten."
   Ich nickte Dr. Lauter zu.
   "Sie werden nun erfahren wie ich auf das Dach komme, sie können mir glauben oder nicht, sie werden mich dann gehen lassen!"
   "Und wenn nicht?"
   "Ich habe mächtige Freunde, denen werden sie nicht widerstehen. Meine politischen Verbindungen reichen weit."
   Er wirkte nicht besonders eingeschüchtert, im Gegenteil, sein Gesicht verzog sich amüsiert.
   "Ich warte."

"Gut. Ich blickte also nach oben, erschreckte durch das Stoppen der Elfenkönigen. Klagende Laute kamen tief aus ihrer Brust und quollen über ihre schönen Lippen, eine Qual für meine Ohren, doch konnte die Königen verstehen, konnte verstehen das sie erschreckt aufstöhnte. Der Mond stand ganz dicht am westlichen Horizont, groß geworden durch die Verzerrung des Lichtes in der Atmosphäre. Man ahnte die Dämmerung schon, ein Hauch von Tau war fühlbar. Tief aus dem Osten stießen unheimliche Wolken hervor, gierig Dunkelheit erzeugend, Mondlicht verschlingend. Diese Wolken besaßen eine Qualität die man nur als Manifestation des Schlechten haben kann, und so zogen sie eine düstere Bahn den Schreckens über uns, direkt auf den tief stehenden Mond zu.
   Sie rief: "Er ist es, der Feind von dem ich dir erzählt habe!"
   Verstehen und Grauen brachen gleichzeitig über mich herein und voller kopfloser Panik riss ich mich los und floh. Die Königen schrie eine wilde Kampfansage an das Böse über uns. Während die tiefschwarzen Wolken gleich die Tinte eines Tintenfisches in der Tiefsee den Himmel verschlangen, rannte ich auf die Lichtbrücke und mit aller Kraft eilte ich nach oben, um die scheinbare Sicherheit meines Zimmers zu erreichen und mich dort vor dem Schrecken zu bergen. Etwa auf halbem Wege, meine Lungen pfiffen schon ein wildes Lied, geschahen zwei Ereignisse gleichzeitig: Die monströsen Wolkengebilde verschlangen den Mond und mit einem hellen, aber doch mächtigem Klirrton stiegen die Elfen meteorgleich und leuchtend empor, dem Feind entgegen.
   Ach ja, ich vergaß: Die Brücke löste sich natürlich sofort auf und ich fiel!
   Ich hatte schon fast die erste Hälfte bewältigt, eine Tiefe von über Zehn Metern lauerte auf mich, so glaubte ich. Demzufolge macht mein Herz einen mächtigen pulsierenden Satz und meine Eingeweide zerliefen zu Wasser, und ich möchte es fast ein Wunder nennen, dass mein Herz nicht versagte. Doch ich hatte Glück, denn gerade unter mir befand sich das alte aufgegebene Gebäude, dessen Teerpappendach so magisch geglänzt hatte. Mein Sturz währte nur anderthalb Meter, doch kam ich etwas unglücklich auf, so dass ich benommen da lag und erst nach einigen Minuten das restliche Geschehen wahrnahm. Die Wolken bedeckten den ganzen Himmel, aber sie hatten den bedrohlichen Charakter verloren, die Elfen hatten die Gefahr gebannt. Aus den friedlichen Wolken rieselte erfrischender Frühlingsregen auf mich nieder. Von den Elfen sah ich nichts mehr, nur einmal wischte etwas Helles durch den Rand meines Blickfeldes, doch gleich den dunklen Schatten die man manchmal am Rande des Sichtkreises wahrnimmt, war dort nichts mehr als ich genauer hinsah.
   Der Rest ist schnell erzählt. Der Regen hörte nach wenigen Minuten auf, die Wolken verschwanden, lösten sich einfach auf. Dann kam auch schon der Sonnenaufgang, unbeeindruckt durch die vorangegangenen Geschehnisse und ihr Gärtner. Der war ziemlich erstaunt einen der Patienten auf dem Dach dieses leerstehenden Gebäudes zu finden.
   Ohne irgendwelche Hilfsmittel konnte ich doch kaum das Dach erklommen haben, denn die oberste Reihe Fenster ist zugemauert und es stehen auch keine hohen Bäume in der Nähe. Aber mit Hilfe einer Leiter holte er er mich herunter und nun, knappe eine Stunde später stehe ich hier und rede mich frei, hoffe ich doch."
   Eine leichte Verbeugung unterstrich den spöttischen Tonfall meiner letzten Worte. Ich nahm eigentlich nicht an, dass er mir glauben würde, sondern meine Freiheit würde noch ein hartes Stück Arbeit werden.

Lauter blickte mich ernst an, Unruhe verbreitend verharrten seine Augen auf mir.
   "Sie haben sich gut freigeredet, kein Zweifel.
   Ich wohne nur einen Kilometer von hier. Luftlinie. Aber von dem Regen haben ich nichts bemerkt, mein Rasen war nur taufeucht, auch der Sand auf meiner Auffahrt war trocken. Ich habe vorhin das Wetteramt angerufen, wo man mir bestätigte, das wir ein erstklassiges Hochdruckgebiet haben, Regen wäre unmöglich sagte man mir.
   Es hat nur hier geregnet und sie sind der Einzige der es bemerkte. Ich glaube Ihnen vorbehaltlos!
   Sie sind nicht der erste Patient, der diese elfenhaften Wesen sehen durfte und ihre Erlebnisse sind auch nicht so ungewöhnlich wie sie glauben mögen. Obwohl der Schluß doch sehr beeindruckte."
   Er nickte einige Male mit dem Kopf.
   "Nachdem die anderen, ebenfalls psychisch kranken Menschen, diese 'Erlebnisse' hatten, wurden sie sehr schnell gesund, vergaßen aber gleichzeitig die Geschehnisse. Einige dachten sogar ich würde sie irgendwie prüfen, als ich sie später brieflich um weitere Einzelheiten bat. Keiner von ihnen weiß noch etwas davon und ich glaube es wird ihnen nicht besser ergehen, dafür sind sie aber geheilt. Auch Patienten, die Tagebuch führen, halten, wenn sie ihre eigenen Eintragungen lesen, diese Vorgänge für Ausgeburten ihrer Phantasie oder für Ereignisse einer Hypnosebehandlung durch meine Wenigkeit.
   Offensichtlich bringen die Heilungen Nutzen für die Elfen, vielleicht bei ihrem Krieg gegen den mysteriösen Feind, oder sie können bestimmte geistig Kranke nicht ertragen und so lösen sie das Problem auf ihre Weise, mit der ihnen eigenen Eleganz."
   Eine Sekunde Pause, dann: "Ich weiß genug, sie können nun gehen, auf Wiedersehen."

Es dauerte ein Sekunde bis ich begriff, was Lauter mir da offenbart hatte, doch dann platzte in mir ein Kokon und das bittere Ungeheuer Verstehen kroch hervor.
   Ich fixierte meinen Blick auf seiner qalligen feisten Figur und trat einen Schritt vor, hilflos nach Worten ringend, denn die Vorstellung, diesen Blick in eine Welt die im Verborgenem neben der Unseren liegt zu vergessen, füllte mich mit Entsetzen und tiefer Trauer. Bevor ich Worte fand, redete Lauter: "Gehen Sie, Sie hatten es doch so eilig. Sie können mir glauben, nichts bleibt ihnen als ihre Heilung."
   Das tat weh, und es machte ihm sichtbar Spaß mich so zu quälen, doch ich konnte mich nicht wehren, denn er hatte Recht. Tief in mir zerrten Finger an meiner Erinnerung, und ich sah wie mit einem inneren Auge, wie sie einen Fetzen nach dem anderem lösten und davonschleuderten. Ich fühlte mich wie ein Kind, dem man das lang ersehnte Geschenk, gerade bekommen, wieder wegnimmt und es dann barsch zu Bett schickt. Lauter würde seine aus zweiter Hand gewonnenen Erfahrungen mit den Elfen behalten, währen meine Erinnerungen schwinden mussten. Die Ungerechtigkeit, die in diesem Geschehen lag, betäubte mich und trieb mir fast die Tränen in die Augen. Ich wandte mich um, kehrte diesem Quälgeist den Rücken zu und schritt unsicher zur Tür.
   Doch trotz meiner Verwirrung war ich nicht völlig geschlagen. Ich würde versuchen ein wenig des Lichtes im Herzen zu bewahren, vielleicht gelang mir, was den Anderen versagt blieb, denn jede Regel kann durchbrochen werden.
   Und nur dieser Gedanke gab mir die Kraft den Rücken zu straffen und die Beine durchzudrücken, so dass ich den Raum ungebeugt verlassen konnte.

- Ende -