Wehe, wenn die Ritter fühlen

Weil sich die neue Star-Wars-Episode „The Phantom Menace" ernst nimmt, gerät sie ins Lächerliche

Von Uwe Schmitt

Washington ­ Noch am frühen Mittwoch morgen hatten die Nachrichtenshows sämtlicher TV-Sender die Erwartungshysterie mit Frontberichten von der ersten Angriffswelle um allerletzte Grade gesteigert. Übernächtigte Star-Wars-Fans im ganzen Land, die Karten für die Mitternachtsvorstellungen des Premierentags ergattert hatten, berichteten glückstrunken und einsilbig von einer überwältigenden Erfahrung. George Lucas, der Meister, habe es wieder geschafft, sie in ihre Traumwelt zurückzuversenken.

Die kühl enttäuschten, fast spöttischen Vorauskritiken hatten ihnen, die tagelang die Kinos belagert hatten, so wenig bedeutet wie abwiegelnde Wortmeldungen von Lucas selbst, der sich mit der Anklage, seine einzigen vier Filme als Regisseur seien „Popcorn"-Filme, einverstanden erklärte. Das Studio schrie Verrat. Der Regisseur entgegnete gelassen, seinen Kindern und den Fans werde der Film schon gefallen. Nichts als ein Samstagnachmittag-Actionabenteuer sollte sein Werk „Star Wars Episode 1: The Phantom Menace" sein.

Sozialpsychologisch anspruchsvolle Deutungen, die seine Trilogie als aufhellende Droge gegen das Post-Vietnam-Trauma erklären, seine launigen Adaptionen der Ästhetik von Western, Kung-Fu, Ritterspielen, Leni Riefenstahl, Billig-Zen und Airforce-Formationsflügen analysieren, prallen an ihm spurenlos ab. Nicht weniger müßig müssen ihm gelehrte mythologische Ableitungen missionarischer Lebenswege von Odysseus über Artus und Jesus direkt zu Luke Skywalker erscheinen. Lucas ist kein Kubrick und macht sich nichts daraus. Dieser Technologie-Milliardär ist für herkömmliche Filmkritik unerreichbar.

Soweit und bis zum Überdruß bekannt war das herbeigesendete Star-Wars-Phänomen am Morgen der Premiere: 2,5 Millionen Amerikaner würden in etwa 5000 Kinos die Prophezeihung des Sensationserfolgs begeistert erfüllen. Nach einer Woche hätte der Meister seine 120 Millionen Dollar Produktionskosten eingespielt, und bald würde „Titanic" auf Rang zwei der erfolgreichsten Filme sinken.

Auch dieser Rezensent rechnete mit stundenlangem Schlangestehen, einschlägig maskierten Mitbewerbern samt Lichtsäbeln, Darth-Vader-Asthmahelmen, endlich mit johlenden Applausstürmen. Daß nichts davon sich erfüllte, als er zur Zehn-Uhr-Vorstellung in einem Kino-Komplex in Arlington anderthalb Stunden zu früh eintraf, daß er zusammen mit 43 zahlenden Zuschauern schließlich in einem Riesensaal das Wunderwerk erblickte, hinterließ nicht nur ihn fassungslos. Immer wieder wandten sich die wenigen Einsamen um, tuschelten, während des mehr als zwei Stunden langen Films rührten sie keine Hand. Nicht als zum ersten Mal der fromme Segenswunsch der Jedi „Möge die Macht mit dir sein" fiel, nicht einmal als vertraute Figuren wie der Roboter C-3PO auftrat und der Jedi-Weise Yoda, der einst einem wenig attraktiven japanischen Premierminister den Spitznamen gab. Nachts sei es voll gewesen, sagte ein Kartenabreißer kopfschüttelnd: „Vielleicht arbeiten die Leute doch um diese Zeit."

Mindestens in Arlington (Virginia), eine Autoviertelstunde von der Washingtoner Innenstadt entfernt, heute berühmt für den Ehrenfriedhof, einst angelegt als Racheakt der Union auf dem beschlagnahmten Besitz des Bürgerkriegshelden der Konföderierten, General Robert E. Lee. Sollten die Menschen von Arlington nicht verstanden haben, welche Pflichten ihnen zukommen, um „Phantom Menace" („Die dunkle Bedrohung", so der deutsche Titel) zu dem Kassenerfolg der Filmgeschichte zu machen? Es ist ein Rätsel. Den Südstaaten immerhin erweist Lucas in dem Film möglicherweise seine Reverenz, als er einen Krieg wegen eines trivialen Handelskonflikts zwischen der „Trade Federation" (Süd?) und der Republic (Nord?), über „states rights" gewissermaßen, ausbrechen läßt und den netten, überbegabten Knaben Anakin Skywalker (Jake Lloyd), dereinst Vater von Luke und der Prinz des Bösen, Darth Vader, als Sklaven einführt, der, so ahnt man, in der nächsten Episode die Emanzipation seiner Leute erkämpfen wird. Der herzensgute Jedi-Ritter Qui-Gon Jinn (Liam Neeson) fühlt ­ es wird unablässig und tief gefühlt von den Rittern ­, daß der Junge „der Auserwählte" (für was auch immer) sei und adoptiert ihn gegen den Wunsch des Jedi-Rates als Lehrling.

Wer fühlen kann, fühlt, wie Yoda, die Furcht in dem Rotzjungen: „Furcht führt zu Zorn, Zorn zu Haß, Haß zu Leid." Wer in den Gefühlen der Star-Wars-Mythologie nicht versiert ist, hat allerdings erhebliche Mühe, die lose eingefädelten Handlungsstränge zu einem tragfähigen Netz zu knoten. Überhaupt muß an der Genealogie des Personals äußerst interessiert sein, wer sich auf „Phantom Menace" wirklich einläßt. Lucas Einfall, die Vorgeschichte statt der Fortsetzung zu erzählen, verlangt ungleich mehr echte Neugierde und läuft Gefahr, die Revivals durch Regression zu schwächen. Und durch Übertechnisierung.

Die erste Trilogie bezog einen guten Teil ihres Erfolges bei Erwachsenen aus dem flapsigen Witz von Han Solo (Harrison Ford), der gegen das ölige Pathos pseudobuddhistischer Jedi-Philosophie ­ „Denke nicht, handele intuitiv", „Konzentriere Dich nur auf den Augenblick" und so fort ­ immunisierte und das ständige Geraune von Vorsehung und Schicksal verzeihlich machte. Entscheidend für den Unterhaltungswert, der darin besteht, „Star Wars" nicht ernst zu nehmen, waren weiter die Low-Tech-Kreaturen, von leibhaftigen, nicht selten kleinwüchsigen Schauspielern belebte Figuren in Gummi und possierlichen Pelzkostümen, die weit mehr mit der Sesamstraße als mit ernsthafter Science-fiction gemein hatten. Das Märchenhafte spielte mit dem Mythischen und gewann das Spiel. „Phantom Menace" aber, das ist seine große Schwäche, nimmt sich viel ernster und gerät gelegentlich ins Lächerliche.

Ernst meint Lucas, so muß man vermuten, etwa den antipolitischen, antibürokratischen Affekt, der die Wortgefechte im galaktischen Senat zwischen den feindlichen Lagern durchzieht. Und er wähnt sich wohl der stillen Zustimmung der Amerikaner sicher. Der Staat sei im Niedergang, die Politiker schwach und korrupt, läßt der Autor und Regisseur seine Sympathieträger erklären. Die Bezüge sind offenkundig. Ein Impeachment stürzt den Ersten Kanzler, der angeblich den Einflüsterungen der Handelsföderation folgt. Der Krieg bricht überhaupt erst aus, weil der Senat, so Lucas' Vorspann, „endlos" und fruchtlos debattiert.

Doch ist nicht wirklich von Belang, warum die Föderation die Invasion des vornehmen, friedlichen Planeten Naboo samt seiner Renaissance-Bauten und Unterwasserwelten beschließt, die Königin Amidala (Natalie Portman) töten will und so eine Rettungsmission der Jedi provoziert. Was zählt, ist allein der Vorwand für Lucas und seine Computerkünstler von Industrial Light & Magic, fabelhafte Animationswelten zu erfinden, die von den sonderbarsten, Englisch radebrechenden, meist aber gutmütigen Geschöpfen bevölkert werden. Kaninchenechsen, Pferdesaurier und was nicht noch für Kreuzungen, alle halbwegs sprachbegabt und manche mit Slapstick-Talent, gelingen ihm. Schwächer sind dagegen Lucas' Robot-Droiden-Soldaten, die wehruntauglich, weil allzu leicht verwundbar sind. Ihre Wespentaille ist mit einem Schwerthieb durchtrennt, und sie hinterlassen im Fallen scheppernde Geräusche von Blechdosen. Daß die Bösen und ihre Truppen im Kampf überhaupt auffallend dumm sind und sterben wie die Fliegen, ist nicht Lucas' Erfindung. Märchen funktionieren so, Hollywood auch. Menschen aber, die glaubwürdige Dialoge sprechen, statt hölzern zu philosophieren, gehören auch zu einem gut erzählten Märchen. Für Menschen und ihre Darsteller freilich hat der Regisseur nie Mühe und Talent gezeigt. Es klingt einleuchtend, daß 60 Prozent des Budgets in Computeranimation und „Blue Screen"-Simulationen geflossen sein sollen, für Einstellungen mit Schauspielern aber meist zwei Takes genügen mußten.

Am meisten leidet, unter dem Drehbuch wie unter dem Zwang, die Szenen auf leeren „Blue-Screen"-Sets mit eingebildeten Partnern spielen zu müssen, spürbar der beste Darsteller: Liam Neeson. Man meint, ihm Verlegenheit und Unwohlsein in Lucas' Universum edler Jedis ständig anzusehen. Und man vermutet, daß es sich der Charakterdarsteller ausbedungen hat, in der ersten Episode zu sterben, um seinen guten Ruf nicht dreifach aufs Spiel setzen zu können. Sein Geselle Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor), dem die undankbare Aufgabe gestellt ist, die später von Alec Guinness mit Grandezza verkörperte Figur zu geben, leidet unter seinem anämischen Gutmenschentum offenbar weniger als Neeson. McGregor könnte noch zwei Episoden durchhalten.

Während die menschliche Anrührung der Dialoge in „Phantom Menace" mühelos von den Viagra-Commercials für ältere Ehepaare auf CNN übertroffen wird, zeigen die virtuellen Action-Szenen, was George Lucas und sein Team vermögen, wenn in der Geschichte von „Phantom Menace" nicht gedacht, sondern nur noch gehandelt wird. Eine Unterwasserflucht der Jedi-Emissionäre, die von allerlei Seeungeheuern erschwert wird, markiert den ersten Höhepunkt nach viel Palaver. Ein an das „Ben Hur"-Wagenrennen angelehntes Wettfliegen des jungen Anakin mit einem unfairen Viehzeug schafft die nächste große Erleichterung, der Showdown von Gut und Böse im All und auf dem endlich befreiten Planeten ist atemraubend elegant choreographiert. Dazwischen aber quälen langatmige Szenen, die vor Gefühlskitsch ­ Anakins Mutter deutet tränenschimmernd unbefleckt eine Empfängnis an ­ und hohler Wohlanständigkeit triefen.

Völlig mißraten ist George Lucas schließlich die Figur des ultimativen Schurken Darth Maul. Der mit allerlei Hörnchen auf dem Schädel verzierte, bizarr geschminkte und mit einem doppelten Lichtsäbel ausgerüstete Bösewicht scheint auf wundersame Weise aus einer deutschen Karnevalssitzung entlaufen. Der Mann, dargestellt von einem Karatekämpfer, ist ein schlechter Witz, nicht einmal eine seriöse Comicfigur wie Darth Vader, dessen röchelndes Atmen unter dem schwarzlackierten Helm ­ die Form insinuierte irgend etwas zwischen Samurai und Wehrmacht ­ mehr Schrecken verbreitete als seine Worte. Darth Maul hätte nicht einmal den leichtgläubigen Ronald Reagan dazu veranlaßt, die Sowjetunion als „Reich des Bösen" zu verdammen und zu behaupten, Amerika sei die (gute) Macht aus „Star Wars".

Es mag sein, daß „Phantom Menace" durch die schiere Energie des Werbefeldzugs für Film, Bücher, Plastikviehzeug aller Art in den kommenden Monaten Rekorde bricht. 4,5 Milliarden Dollar soll die erste Trilogie mit allen Recycling-Tricks seit 1977 verdient haben. Es könnte auch sein, daß die Umsätze des neuen Films enttäuschen, wenn die Süchtigen der Droge „Star Wars" ihren Stoff bekommen haben und die übrigen sich weigern, drei Filme und sechs Jahre lang zu warten, nur um besser zu verstehen, warum Anakin Skywalker, an sich ein netter Mensch, zum ersten Paladin des Kaisers der „Dunklen Seite" verkommen konnte. „Sei tapfer und schau nicht zurück", beschwört Anakins Mutter den Sohn beim Abschied. Von nun an entscheidet das Publikum, ob sich George Lucas daran hätte halten sollen.

© DIE WELT, 21. 05. 1999